Vorwort

Dieses Buch ist zunächst eine Zumutung. Denn mit unterschiedlichen Perspektiven und Fragestellungen rückt es einen Künstler in den Fokus, in dem er selbst nur ungern steht. Walter F. ist 64 Jahre alt und betätigt sich seit über 30 Jahren als Graffitikünstler unter dem Pseudonym OZ. Obgleich im öffentlichen Raum aktiv, hat er von sich aus nie die Öffentlichkeit gesucht. In die wurde er in den 90er Jahren gezerrt, als eine sensationsheischende Presseberichterstattung OZ zur Projektionsfläche für Law-and-Order-Parolen und zum wortwörtlichen »Objekt« von Bestrafungsphantasien machte. Darauf reagierte eine Solidaritätsbewegung, innerhalb derer OZ zu einer Symbolfigur für die Streetart-Szene sowie die Recht-auf-Stadt-Bewegung wurde. Dieser Vorgeschichte will dieses Buch nicht eine weitere instrumentalisierende Projektionsfläche hinzufügen und gleichermaßen »über OZ« hinwegschreiben. Ganz im Gegenteil versuchen die weit gefächerten Beiträge, sich dem Werk und Wirken von OZ in seiner Komplexität, das heißt auch Widersprüchlichkeit, anzunähern. Sinnvolle Solidarität ist dabei auch kritische Solidarität. Und das auf der Basis eines gemeinsamen Herzenswunsches: Anerkennung und Respekt für das bisherige künstlerische Schaffen von OZ einzufordern und zu fördern. Das vorliegende Buch ist eine Würdigung dieses Schaffens und ein Geschenk an den Künstler, das die beteiligten HerausgeberInnen, AutorInnen und FotografInnen unentgeltlich gestaltet haben. Etwaige Erlöse fließen in die Solidaritätsarbeit mit OZ.

    Von einem aktuellen Porträt des Menschen und Künstlers ausgehend, wagen wir erstmals, soweit uns bekannt, eine künstlerische und kunsthistorische Einordnung und Würdigung seiner Kunst vor dem Hintergrund der grundlegenden Frage des entsprechenden Kunstbegriffs. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass OZ noch immer nicht im akademischen Reflexionsbereich angekommen ist bzw. dieser sich bis heute nicht an ihn heranwagt. Danach kommen Menschen und Galeristen, die lange und intensiv mit OZ zusammengearbeitet haben, zu Wort. Dabei gehen wir auch der Frage nach, ob Streetart ihren anfangs unbestritten widerständig-subversiven Charakter hat bewahren können bzw. ob oder inwieweit sie sich teilweise selbst überholt hat. Außerdem werden Strategien von Unternehmen und Werbung skizziert, sich diese Kunstform für kapitalistische Verwertungsinteressen nutzbar zu machen. In einem weiteren Beitrag zeichnet der langjährige Verteidiger von OZ die juristischen Auseinandersetzungen um OZ’ Wirken im öffentlichen Raum nach. Daran schließt sich eine Untersuchung der Frage an, inwieweit Streetart durchaus eine Widerstandspraxis gegen eine Tendenz der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums und einer damit verbundenen repressiven Kontroll- und Ausschlusspraxis darstellen kann. Abschließend kommen Streetartisten zu Wort, die in eigenen Werken ihrer Solidarität mit OZ Ausdruck verliehen haben.

Es gibt weitere Aspekte, die wir zwar diskutiert, letztlich aber im Buch nicht in einem eigenen Beitrag thematisiert haben. Hierzu gehört aus erinnerungspolitischer und soziopsychologischer Sicht insbesondere die Aufarbeitung des NS-Faschismus, die auch zu Beginn des Jahres 2014 noch virulent ist. Die ungebrochene personelle Kontinuität nationalsozialistischer Pädagogik in der Heimerziehung der 1950er Jahre hat Walter F. zweifelsohne geprägt und auch traumatisiert. Diese biografische Erfahrung ist als resiliente Kraft in OZ’ künstlerische Motivation eingeflossen.

    Danken wollen wir allen, die an diesem Buch mitgewirkt haben. Ein besonderer Dank geht für vielfältige Unterstützung an Sven Stillich sowie, allen voran, an den Verleger Theo Bruns, der mit Geduld und großem Engagement den vorliegenden Band ermöglicht hat.

Andreas Blechschmidt, KP Flügel, Jorinde Reznikoff


Druckfahne
»Vorwort« (pdf)

Hinweis: Dies ist die Online-Version des Buchs »Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz», das 2014 im Verlag Assoziaton A erschienen ist. Es ist inzwischen vergriffen, als Würdigung seines Werks und als Inspiration für die zukünftige Auseinandersetzung mit Walters Schaffen ist es hier dokumentiert.