Streetart zwischen Subversion, Werbeindustrie und Kunstmarkt

Schon immer hat die Werbung versucht, die Codes der Subkultur zu integrieren. Nach wie vor scheint zu gelten, was Gabi Delgado von der Deutsch Amerikanischen Freundschaft (DAF) in einem Interview gegenüber der Radio-FSK-Sendung »neopostdadasurrealpunkshow« sagte: »Der Kapitalismus ist wie die Borg, er kann alles assimilieren. Der Kapitalismus hat eine hohe Integrationskraft, er kann aus dem Protest von gestern das Produkt von morgen machen.« Viele Unternehmen nutzen heute bewusst das kreative Ausdrucksrepertoire der Streetart. Ob nun Adidas oder Nike oder der japanische Elektronikkonzern Sony, der in Berlin-Mitte gleich mit der PSP Streetart Gallery seine Playstation »subversiv« promoten wollte, oder die Zigarettenindustrie wie die Marke Gauloise. Die Linke identifiziert Streetart hingegen zumeist mit dem Aufbegehren gegen die Verwertungsinteressen der Kulturindustrie.

    Auf der anderen Seite haben Künstler wie z.B. der Dadaist Kurt Schwitters oder der Surrealist Robert Desnos keine Scheu gehabt, ihr kreatives Können oder wie der Ur-Punk John Lydon seine Popularität zu vermarkten. Und von Banksy, Nomad und Blek le Rat oder Miss.Tic ist bekannt, dass sie kommerzielle Auftragsarbeiten annehmen bzw. in Galerien und Museen ihre Werke präsentieren.

    Bei OZ scheint der Fall eindeutig zu sein. Sein Feld ist die Straße und nur mit Widerwillen hat er den Raum der Galerien betreten. Um seine Anwaltskosten zu bezahlen, sah aber auch er sich genötigt, den Begrenzungszaun des Central Parks, eines Schanzen-Beach-Clubs, mit Smileys zu verzieren und seine Werke in Ausstellungen zu präsentieren und zu verkaufen. Auf Initiative von Alex Heimkind von der OZM Gallery, in der die letzten Ausstellungen von OZ gezeigt wurden, hat das dänische Kunstauktionshaus Lauritz auf seiner Internetseite vom 17. bis 29. November 2011 Werke von OZ versteigert. »Knapp 10.000 Euro kamen zusammen. Vom Erlös jeden Bildes gehen zwölf Prozent an das Auktionshaus«, schrieb die Hamburger Morgenpost und stellt heraus, dass das teuerste Bild für 1.400 Euro weggegangen sei. Verwendet wurden auch diese erzielten Erlöse zur Bezahlung der Anwaltskosten.

    Das Verhältnis von Streetart, Galerien und Broterwerb von Künstlern ist also komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint.

We are visual: Subversion gegen Guerillamarketing

Besonders öffentlichkeitswirksam nutzt die in Deutschland vom Reemtsma-Zigarettenkonzern vertriebene Marke Gauloise das kreativ-widerständige Streetart-Image. Mit seinem Projekt »Place de la Créativité« will das Unternehmen »eine Kreativwelt« anbieten. Vollmundig werden »künstlerische Freiheit, jede Menge Phantasie, Ideenreichtum und vor allem Freude an der Kunst« verkündet. Nur zu gut wissen die Gauloise-WerbestrategInnen, dass gerade die anvisierte Zielgruppe der jungen, sich hip fühlenden KonsumentInnen leicht mit dem Versprechen zu ködern ist, etwas Cool-Kreatives entdecken zu können.

    Auf der »Place de la Créativité«-Internetseite heißt es weiter: »Ortskundige Tourguides führten die Teilnehmer bereits durch fünf deutsche Großstädte, um ihre Leidenschaft mit ihnen zu teilen: Streetart. Die Kenner der Szene nehmen die Teilnehmer mit auf Entdeckungsreisen durch die Straßen der Städte und machen Urban Art hautnah erlebbar. Dabei sind sie immer auf der Suche nach den neuesten Bildern, Stencils und anderen Kunstwerken der Stadt. Die Tour de la Créativité ist die etwas andere Art der Stadtführung und steht für Spaß an der Kunst abseits der Galerien. Fragen nach ›Tags‹, ›Droppings‹, ›Paper cut-outs‹ oder ›Stencils‹ werden geklärt und die Unterschiede der einzelnen Werke erläutert. Bemalte Kacheln, angeklebte Scheren- und Linoleumschnitte, bekritzelte Postaufkleber oder Graffititags schmücken die Straßen, und je länger man sich damit beschäftigt, desto mehr Straßenkunst wird man entdecken können. In den einzelnen Galerien bekommt ihr ein paar Eindrücke der vergangenen Touren durch Hamburg, Düsseldorf, München, Stuttgart und Frankfurt.«

    Gegen diesen offenkundigen Versuch der Vereinnahmung von Streetart für kommerzielle Interessen regte sich in Hamburg sicht- und wahrnehmbarer Protest. Die Künstlergruppe »We are visual« intervenierte mit einer Aktion bei einer dieser Gauloise-Sightseeing-Touren in Hamburg. In ihrem Statement führen sie aus: »Hier interessiert uns das Spiel mit den etablierten Autoritäten, mit gezogenen Grenzen, gesetzten Strukturen. Das beinhaltet die Wirkung von Signalen und Servicekräften, das Hacken von Funktionen des Urbanen oder auch das Be- und Verarbeiten von Werbung und das Realisieren von großformatigen Installationen im öffentlichen Raum, in Galerien und Museen.« Als Intention für ihre Intervention geben sie an, gegen eine Form des Missbrauchs von Kunst zu protestieren. »Eine Millionenmarke nimmt sich das Recht, sich mit fremder Kunst zu schmücken, und versucht sich damit populär zu machen. Graffiti-Rundgang im Szene-Stadtteil. Diese Marke bedient sich fremder Kunst, ohne diese Kunst in irgendeiner Form zu fördern. Meist ist es so, dass die Marke eine Kreativagentur beauftragt, ein Event, eine Kampagne oder ähnliches auszurichten. Daraus resultieren dann Dinge wie Adidas Urban Street Guide (mit iPhone App) oder die Tour de la Créativité von Gauloise. Also muss man im Endeffekt sowohl die Marke als auch die Werbeagentur erziehen. Oder man zerstört mit einer gezielten Gegenwerbung den Effekt der eigentlichen Werbung und macht somit den Betrachter darauf aufmerksam, was er gerade konsumiert.«

    Aus diesem Grund wollten sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. »Besser gesagt, wir wollten Aufmerksamkeit auf die Marken, die wir drei präsentiert haben, ziehen. Nike, Prada, H&M – drei Marken, die aus unserer Sicht genauso cool-uncool sind wie Gauloise und die den Bereich Streetart und Graffiti vergessen haben auszuschlachten und das schnellstens nachholen sollten. Und da ja schon eine Klientel von einer großen Werbekampagne in die Schanze gelockt wurde, um eine private urbane Tour zu bekommen, ausgestattet mit Beutel und Schirmchen mit wunderschönem Artbranding, bot sich unseren Marken eine einzigartige Chance, Kunden abzugreifen. Was wir während der 45-Minuten-Tour versucht haben.« In diesem Fall leider vergeblich, denn niemand wollte sich von einer anderen »mindestens genauso coolen urbanen Marke abwerben lassen«.

    Fast keine andere Subkultur, so WAV in ihrem Statement, sei von der Werbung so aufgegriffen und ausgeschlachtet worden. »Zu einem großen Teil ist sie damit in die Knie gezwungen worden. Die einzige Chance ist, sich dagegen zu wehren! Beispielsweise wie ›Prost‹ in Berlin, der mit seinen Adbustings auf großartige Weise die Plakate hackt oder die ›twentyfourbusters‹ in Hamburg mit dem Weihnachtskalender in den JCDecaux-Vitrinen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Städte verkaufen Flächen im öffentlichen Raum, um daran zu verdienen. An Bushaltestellen ist das vielleicht okay, aber die Vitrinen von JCDecaux poppen aus dem Boden wie Pilze im Wald. Für viele ist es ein wirkliches Problem. Früher hatte man im Dunkeln Ruhe vor den großen Plakattafeln, mittlerweile ist es in innenstadtnahen Bereichen fast nicht möglich, Sichtachsen zu finden, wo nicht eine von diesen Kisten, Säulen oder Monitoren vor sich hin flimmern.«

    Ob ein Künstler sich an die Werbung verkaufe, sei letztendlich seine Entscheidung, sagen WAV. »Das Ziel der meisten Künstler ist, von ihrer Kunst leben zu können. Das heißt: seine Kunst zu verkaufen. Die Frage ist nur, wie und wo man sich auf dem Kunstmarkt platziert. Wenn man sich oder seine Kunst zum Beispiel an eine Marke verkauft, kann es schnell passieren, dass durch die Überladung und Wiederholung der Werbung die Kunst oder der Künstler langweilig erscheint.«

Das Konzept von Miss.Tic: Von der Streetart leben
und sich einen Platz in der Kunstgeschichte erobern

Es gibt wohl keinen größeren Gegensatz als den zwischen OZ und der als Grande Dame der französischen Streetart bezeichneten Pariserin Miss.Tic. Auch sie musste sich mit der Frage »Straße oder Galerie« auseinandersetzen und sich der Justiz in einem Strafprozess wegen Vandalismus stellen. Anders als OZ hat sie ihre – etwa gleich lange – Laufbahn als Graffitikünstlerin von Beginn an erfolgsorientiert durchgeplant. Von Anfang an wollte sie von ihrer Kunst leben können und sich einen Platz in der bürgerlichen Kunstgeschichte erkämpfen.

    Dem Vorwurf, aus Gründen der Selbstverwertung heute für Galerien zu arbeiten und damit ihre Arbeit auf der Straße zu verraten, stellt sie entgegen, dass sie ihre erste Ausstellung bereits zur gleichen Zeit gemacht habe, als ihre ersten Schablonenbilder auf der Straße erschienen. Sie mache seit fast 30 Jahren Ausstellungen in Galerien, nur sei früher nicht darüber gesprochen worden, weil das weniger spektakulär gewesen sei.

    Das Entscheidende bei der Gretchenfrage nach dem Charakter der Streetart ist und bleibt für Miss.Tic ein radikales Freiheitsbedürfnis. Ihre Kunst passe in keine Schublade, auch nicht in die der Streetart. »Das Draußen braucht das Drinnen, das Außen das Innen. Das Atelier ist das Laboratorium der Straße. Ich lasse mich nicht draußen einsperren.« Das gilt auch für die Schublade, gute Kunst und insbesondere die ursprünglich aus dem Underground gegen das Establishment gerichtete Streetart habe frei von Geld zu sein. Dagegen wendet Miss.Tic ein, sie »stehe nicht außerhalb dieser Welt. Ich habe Kosten, muss Atelier und Steuern bezahlen – und bekomme von niemandem etwas geschenkt.« Um Ausstellungen realisieren zu können, brauche sie Geld. »Ich verkaufe mich, wie ich mich mein ganzes Leben lang verkauft habe.« Sie sei weder Erbin noch Rentenempfängerin. Wir lebten nicht mehr im 19. Jahrhundert. Der Kunstmarkt habe sich weiterentwickelt. Man werde nicht mehr durch die Kirche oder wen auch immer unterstützt. »Wie jedermann muss auch ich eben schuften.« Also nimmt sie Aufträge an, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dazu gehört heutzutage die Werbung. »Wenn man jetzt auf mich zukommt, weil ich Miss.Tic bin und einen eigenen Stil habe, bin ich zufrieden und akzeptiere.«

    Natürlich produziere sie lieber intelligente als dumme Botschaften. Und sie denke nicht, dass sie sich verrate, wenn sie für die Autovermietung UCAR schreibe: »Mieten heißt frei bleiben«. Es gibt Werbung, die sie akzeptiert, und Werbung, die sie ablehnt. Die Leute bekommen also nur die Werbung von ihr zu sehen, die sie akzeptiert hat. »Wenn jetzt jemand Bulle spielen will, kann er ja mal versuchen herauszubekommen, welche Angebote ich abgelehnt habe.« Danach hat sie bisher niemand gefragt. Kritisiert werde sie für das, was sie akzeptiert hat. Seitdem sie es geschafft hat, ihren Lebensunterhalt mit Kunst zu verdienen, wird sie hart angegriffen – als eine Künstlerin, die sich verkaufe. In manchen Kreisen wird sie sogar »Miss Fric« (Miss Kohle) genannt. Es gebe enorm viel Kritik von Eifersüchtigen, Neidern, Talentlosen, Gescheiterten, Intriganten und von Künstlern, die talentiert seien, es aber nicht schafften, ihre Werke zu verkaufen. »Niemand würde mich in Frage stellen, wenn ich heute im Bois de Boulogne auf den Strich ginge.«

    Auch Miss.Tic musste sich vor Gericht verantworten. Ein Pariser Hauseigentümer hatte das Graffiti »Egérie et j’ai pleuré« (»Egeria/Muse und ich habe geweint«; oder: »Ich habe gelacht und ich habe geweint«) an seiner Hauswand als Eingriff in sein persönliches Eigentum empfunden und einen Prozess gegen sie angestrengt. Miss.Tic wurde zu einer hohen Geldstrafe von damals 22.000 Francs verurteilt. Daraufhin traf sie die Entscheidung, nur noch mit Genehmigung im öffentlichen Raum zu sprühen, da »so ein Adrenalinkick« nur von kurzer Dauer und sie nicht »maso« sei.

Von der Subversion zur Denkmalpflege – Blek le Rat in Leipzig

Ein weiterer Graffitikünstler hat längst Karriere gemacht: der aus der situationistisch geprägten französischen Szene stammende Blek le Rat, der seit etwa 30 Jahren seine Bilder durch Straßen und Galerien schickt. Zuerst waren es Ratten, dann mannshohe Silhouetten von Dichtern und Clochards oder eine Madonna mit Kind. Letztere sprühte er 1991 in Leipzig.

    Die Leipziger Universität hatte im Jahr 1991 eine Gruppe von deutschen und französischen GraffitikünstlerInnen auf den Campus eingeladen und damit Streetart offiziell nach Leipzig geholt. Unter den Eingeladenen war auch Blek le Rat, der außerhalb des organisierten Rahmens auch illegal angebrachte Werke hinterließ. Zu ihnen gehört ein Madonna-Pochoir, das Jahre später von Maxi Kretzschmar wiederentdeckt und am 12. April 2013 am Ursprungsort restauriert und mit einer Glasscheibe versehen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Das Werk sei, so Maxi Kretzschmar, als eine Liebeserklärung an seine Frau Sybille entstanden: »Heute steht es unter Denkmalschutz und wird dauerhaft im Leipziger Stadtbild als archäologisches Fenster mit hohem Kunstwert erhalten.« Allerdings scheint ein Leipziger Hardcore-Sprayer gegen diese Musealisierung mit Sprayattacken auf das restaurierte Werk zu protestieren.

    Maxi Kretzschmar ist freiberufliche Kunst- und Kulturmanagerin im Urban-Culture-Bereich. Aus ihrer Sicht hat die Leipziger Stadtverwaltung »das Thema Urban Art als Marketingtool noch nicht wirklich auf dem Schirm«. In London dagegen »wird streng zwischen Graffitis als Sachbeschädigung und Streetart als Kunst unterschieden«. Nur Graffitis würden entfernt. Für das Stadtmarketing in Metropolen wie London oder Berlin ist Streetart ein attraktives Thema für Touristen, auf das ausdrücklich auf Prospekten oder im Internet hingewiesen wird.
In Leipzig dagegen, sagt Maxi Kretzschmar, habe die Stadtverwaltung das Thema verschlafen, obwohl Leipzig durchaus eine Rolle in der deutschlandweiten Urban-Art-Szene vor allem im Bombing spiele. »Die Verwaltung macht es aber auch der lokalen Szene nicht unbedingt leicht, wenn ein gutes Hall-of-Fame-Netz mal eben aufgesprengt wird.«

Streetart ohne Ende oder: Es gibt keine Konklusion

Die fragmentarischen Spots zeigen die Vielfalt und Widersprüchlichkeit im Verhalten der Streetart-AktivistInnen und ihres Umfelds im Umgang mit dem Thema Kommerzialisierung und Gelderwerb auf. Während die heute als renommierte KünstlerInnen gefeierten Banksy, Blek le Rat und Miss.Tic den KunstsammlerInnen mitunter als Kapitalanlage dienen, muss sich OZ nach wie vor regelmäßig vor Gericht verantworten. Bisher hat sich OZ der bewussten Nutznießung seiner steigenden Anerkennung als Künstler mit Don-Quijote-artiger Hartnäckigkeit verweigert, sie ist ihm nicht geheuer. Pervers wäre es, wenn OZ erneut zu Haftstrafen verurteilt würde, um dann später von denselben staatlichen Kulturbeauftragten oder Museumsdirektoren, die ihm jetzt ihre Solidarität verweigern, in museale Kontexte eingesperrt zu werden.

KP Flügel


Druckfahne »Streetart zwischen Subversion, Werbeindustrie und Kunstmarkt« (pdf)

Hinweis: Dies ist die Online-Version des Buchs »Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz», das 2014 im Verlag Assoziaton A erschienen ist. Es ist inzwischen vergriffen, als Würdigung seines Werks und als Inspiration für die zukünftige Auseinandersetzung mit Walters Schaffen ist es hier dokumentiert.