»Prozess« in drei Akten mit und um OZ herum
Gespräche mit dem Galeristen Alex Heimkind
Akt I: »It's all about OZ« (2011)
OZM – Gallery & Art Space, Bartelsstraße 65, Schanzenviertel, Hamburg. Graffitis, wohin man blickt, überall an den Außenwänden und im Treppenhaus, welches uns nach oben in die Galerieräume führt. Wir, das sind Jorinde Reznikoff und KP Flügel vom Freien Sender Kombinat Hamburg. Wir haben ein Buch über die Grande Dame der französischen Streetart, Miss.Tic, veröffentlicht und wollen jetzt mehr über OZ wissen, diesen ganz anderen Hamburger Streetartisten. Eine Ausstellung mit seinen Bildern ist hier gerade zu Ende gegangen, sie hieß »It’s All About OZ«. Eine OZ-Ausgabe unserer Radiosendung »neopostdadasurrealpunkshow« haben wir geplant, in weiter Ferne ein Buchprojekt. In der Galerie begegnen wir einem so enthusiastischen wie wütend-kämpferisch auftretenden Galeristen, Alex Heimkind. Wir setzen uns an die Bar. Draußen rattern Züge vorbei, viele sind mit Graffitis besprüht. Alex läuft mit Pfefferminztee um den Tresen herum. »Ich komme auch auf eure Seite«, sagt er und schmunzelt. »So sind wir jetzt alle auf derselben Seite« – auf der Seite von OZ. Und: Hier gebe es keinen Alkohol, wir befänden uns in einer alkoholfreien Zone. Ob es dann noch eine Bar sei? Na, eine Saftbar oder Teebar eben, fällt uns ein, und Bargeld, der Bargeld, und dass früher »bar« einfach »frei von« geheißen habe. Das gefällt Alex: »Freie unter Freien« heiße sein Samstagsclub hier in der OZM Gallery, der Slogan gehe auf den russischen Anarchisten Michail Bakunin zurück.
Was bedeutet das konkret?
Niemand wird ausgegrenzt. Jeder, der sich frei fühlt, kann kommen. Wir haben allerdings eine kleine Hürde eingebaut, einen Eintritt von fünf Euro, da wir komplett ohne Zuschüsse, also hundertprozentig unabhängig sind. Jeder kann hier machen, was er denkt. Alle haben hier etwas gemeinsam, sie sind bei klarem Verstand, niemand benebelt sich mit Alkohol, sodass nichts im Kopf verpufft. Und wenn man nikotinsüchtig ist, kann man in die Krebsboxzelle gehen, die OZ gestaltet hat, und Teil der Installation werden.
Welche Ziele habt ihr und welche Wege führen dahin?
Ziele gibt es hier so viele, wie es Leute gibt. Und die Wege? Wir gehen keinen Weg. Jeder Schritt, den wir machen, ist ein neuer, wir fangen definitiv bei null an. Wir haben auch keine Angestellten, alles beruht auf Freundschaft. Wir hier, das sind Freunde. Die Menschen haben gemeinsam, dass sie sehr offen Neuem gegenüber sind. Denn wer hier reinkommt, betritt eine neue Welt und kann seine Welt, wie er sie bisher kannte, in die Tonne treten. Die Bilder, die hier hängen, sind jeden Monat neue. Und die Menschen, die hier sind, sind in der Präsenzzeit. Was gestern war, ist gestern, was morgen ist, ist morgen. Du bist einfach hier, und es entstehen interessante Gespräche. Dann kannst du ja auch mal versuchen, ohne Alkohol zu tanzen. Die Leute werden hier vielleicht zum ersten Mal mit ihrem Selbst konfrontiert. Und können hier auch Skateboard fahren, hier drinnen ist eine Rampe. Mit Betonung auf »können«.
Wie kam es zu diesem Projekt?
Ich hole mal weiter aus. Mein Großvater kam, der wirtschaftlichen Situation wegen, 1888 aus Dänemark hierher in die Schanze und hat wirklich mit nichts angefangen. Ich kam erst 1989 nach Hamburg. Als Kiddy habe ich in der Roten Flora gelebt, bin wohl einer der wenigen, der das von sich sagen kann. Ich habe überall auf der Welt in Großstädten gewohnt, in New York, Tokio. Aber irgendwie habe ich eine Verbindung zu diesem Platz hier, ich empfinde ein tiefes inneres Bedürfnis, gerade hier zu sein. Dieses Gefühl der Freiheit, das hat mich nach Hamburg geführt. Und es ist eben interessanter, wenn du an einem Ort bist, weil du auf diesem einen Platz werken und wirken kannst, und er auf dich.
Also lässt du dich von diesem Ort inspirieren...
Die jüngste Ausstellung hier war über OZ. Der inspiriert die Leute, indem er überall präsent ist.
Wie bist du als Galerist auf OZ gekommen?
OZ habe ich vor etwa 15 Jahren kennengelernt. Meine Idee war immer, dass ich ihm irgendwie helfen wollte. Denn was er macht, finde ich persönlich superkrass. Schon in den 90ern kamen Leute aus den USA oder England, haben OZ gesehen und gesagt: »Was ist das nur für ’ne Possy?!« Einfach weil OZ überall präsent war. Ich bin ein großer Fan von ihm. OZ verbindet unglaublich viele unterschiedliche Menschen, wir sind alle connected über ihn – auf eine ganz andere Art und Weise in einer ganz anderen, sehr künstlerischen Welt. Überhaupt die schwindelerregende Tiefe seines Lebenswerks zu verstehen ... Glücklich ist, wer es lesen kann! Wer kann sich schon genau daran erinnern, was er die letzten 20 Jahre gemacht hat?! OZ selbst kann das bestimmt, weil er ja überall seine Spuren sieht. Und acht Jahre dafür im Gefängnis zu sitzen ... Das ist dieses fucking Scheißsystem, in dem wir leben, was wir unser ganzes Leben lang ja schon wissen. Und heute haben wir alle unsere Steuernummern und freuen uns noch darüber, das ist doch total perfide ... Könnt ihr mal eure alten Polizeivideos angucken? Hallo, das Kind da bin ich gewesen! Und jetzt schickt ihr mir eine Steuernummer zu. Was soll das?! Für uns war es wichtig, über OZ und all das zu sprechen, hier einen Punkt der Kommunikation zu schaffen, einen Anlaufpunkt für Journalisten und so. Bis vor kurzem hat sich ja kaum jemand um OZ gekümmert. Seit der Entstehung des Recht-auf-Stadt-Bündnisses gibt es nun Leute, die sich für OZ interessieren.
Anlässlich deiner Ausstellung hat es ja auch positive Rückmeldungen von den Medien gegeben.
Vielleicht machen die das so »50 Prozent negativ, 50 Prozent positiv«. Und da OZ bisher so negativ eingeordnet war, musste OZ jetzt mal in die Kategorie »positiv« fallen. Dieselben, die ihn vorher Scheiße fanden, finden ihn jetzt gut und morgen wieder Scheiße. Kann man das verstehen? Ich finde es aber gut, wenn man sich damit auseinandersetzt. Hier kommen öfter mal Praktikanten her, meist Hauptschüler, und die sehen das komplett anders: Die finden es heftig, so jemanden wie OZ überhaupt kennenzulernen. Sie freuen sich richtig! Für sie ist das überhaupt keine Frage: Natürlich ist er für sie ein Riesenkünstler. Überhaupt darüber zu diskutieren, finde ich ermüdend. Alex rutscht demonstrativ gähnend von seinem Stuhl herunter. Und dann gönnt sich der Galerist und Kung-Fu-Kämpfer einen kurzen Fight mit den herausfordernden Wänden um uns herum. Überhaupt OZ auszustellen ist Schwachsinn, denn er ist ja bereits überall ausgestellt ... Außerdem heißen wir ja OZM. Was das bedeute, wofür das »M« stehe? Schmunzelnd hält Alex inne, ein, zwei Sekunden das Schweigen genießend, das er dann auflöst: Management ... Nein, »OneZeroMore«. Oder denk dir was aus ... Dazu kommen wir nicht, denn der »Nullmanager« Alex ist bereits wieder ganz bei OZ: Seht euch nur seine großen bunten Zellhaufen an! Was man, künstlerisch gesehen, aus einem Punkt und einem Strich alles machen kann ... und die Weiterentwicklung! OZ ist ein Symbol. Und dazu das Asketische: Jede Nacht raus, klettern gehen, das ist ja eine unglaubliche Arbeit! Alex wird mit einem Mal ganz ruhig ... Eines meiner schönsten Erlebnisse hier in der Galerie war das mit Willi, dem Maurer, der sein fünfzigjähriges Maurerjubiläum voll machen wollte und kurz vor seiner Rente hier hochkam, um sich anzuschauen, was OZ macht. Er sagte: »Was, der soll verrückt sein? Was soll ich denn da sagen, ich habe 50 Jahre lang Mauern hochgezogen. Das ist vielleicht verrückt!« OZ ist eben ein anderes System.
Wie würdest du dieses System beschreiben?
Es spiegelt den Wahnsinn um uns herum. Guck doch raus! Wie viel öffentlichen Raum gibt es noch, also Räume, zu denen wir noch eine Verbindung haben? Jede Säule, jeder Stahlträger, jeder Stromkasten: Was haben wir mit denen noch zu tun? Vor Gericht wird OZ wegen seiner Graffitis angeklagt. Hey, hallo, Realität?! Unser System ist definitiv am Fallen. Und Graffitis spiegeln das wider.
Spüren Polizisten das vielleicht unbewusst? Dass sich in der offensiven Harmlosigkeit dieser Smileys etwas tief Subversives verbirgt? Dass OZ’ kleinteilig omnipräsente Partisanentruppe von naivst lächelnden Minimalgesichtern dem System an die Nieren geht?
Ich habe mich mit Polizisten unterhalten, die sagen: Das ist Schmiererei. Die sind voll in ihrem Job drin. Ich weiß nicht, ob die überhaupt in der Lage sind, so etwas zu überdenken. Sonst wären sie wohl keine Polizisten geworden, sondern würden etwas Freies machen. Das sind zwei Welten. Die eine versteht die andere nicht. Und so wird es hoffentlich immer sein.
Aber die eine Welt fühlt sich doch von der anderen angegriffen. Sonst gäbe es nicht so eine gnadenlose Verfolgung von OZ. Bedingen sich hier vielleicht zwei Systeme? Brauchen sie sich – um nicht zu sagen: gebrauchen oder missbrauchen sie sich – gegenseitig?
Ach Quatsch. Man muss diese Truppen eben beschäftigen. Es geht dabei doch nur ums Geld, es ist ein Finanzsystem. Jeder Polizist, der OZ hinterherschnuppert, und jeder Richter, der ihn verknackt, wird bezahlt vom Staat. Alle werden doch bezahlt vom Staat. Und OZ? Der ist frei. Aber, wie lustig: OZ wird auch bezahlt vom Staat. Also erschafft das System sich selbst und bleibt wunderbar erhalten. Was kosten acht Jahre Gefängnis? Dafür hätten wir OZ auch eine Villa kaufen können!
Akt II: »wOZu« (April 2012)
Ein Jahr ist vergangen. Eine dritte Ausstellung von OZ steht kurz vor der Eröffnung. Einem nachdenklicheren Alex Heimkind begegne ich dieses Mal. Die Anspannung eines Galeristen vor einer Vernissage liegt in der Luft, die besondere Anstrengung dieses Galeristen steht ihm ins hagere Gesicht geschrieben, denn im Fall von OZ entstehen die ausgestellten Werke erst in seinen Räumen. Und die Mühe ist spürbar, auch die Mühe, mit OZ umzugehen. »wOZu« heißt diese Ausstellung. Alex ist auch Musiker, er macht elektronische Musik. In seinem Album »Rising« heißt ein Stück »About OZ«, ein anderes Album heißt »Jusqu'au bout«, bis zum Ende. Das passt zu ihm. Welche Musik passt zu OZ’ Bildern?
Seine neuen Bilder sind hochgradig abstrakt und dazu kurios betitelt wie »Maske à la Afrika« oder »Frau und Mann sind glücklich«. In den Punkten und Strichen und den bunten Smileys kann jeder etwas anderes sehen – etwas, das nur ihn berührt. Jeder hat also eine andere Vorstellung, welche Musik zu diesen Bildern passt.
Bislang stand bei »OZ« eher der prozessuale Kontext im Fokus und nicht die Kunst als solche. Wie OZ seine Bewegungsweise und -form aus dem öffentlichen Raum auf die begrenzte Fläche und klassisch-traditionelle Form einer Leinwand bringt, ist überzeugend und äußerst berührend. So etwas kannte man von ihm bisher nicht.
Mir war es für die Ausstellung wichtig, die Leute zu überraschen – und auch OZ selbst. Keiner erwartete so etwas Klares und »Normales«. Jeder dachte, es würde viel verrückter werden. Doch die Verrücktheit drückt sich in seinem Stil aus, auch in dieser »Normalität«. OZ hat sich einen Stil erarbeitet, und den kann er problemlos überall anwenden – nicht nur im urbanen Raum, in dem die Grenzen nicht so abgesteckt sind, sondern auch auf klassischen Formaten wie Leinwänden. Und ich denke, er hat noch viel unerwartetes Potential.
Du hast ihm also eine Chance gegeben, sich auszuprobieren und zu entwickeln. Hast du ihn gebeten, die Bilder für diese Ausstellung zu malen?
Das Ganze hat nur im Kontext des aktuellen Gerichtsprozesses gemeinsam mit den Anwälten funktioniert. Und angesichts der Notwendigkeit, Verteidiger zu bezahlen, die nicht mehr aus dem staatlichen Gefüge kommen – also vom Staat entlohnt werden –, sondern die OZ selbst beauftragt. So war es für ihn zwar schwierig, den Schritt in eine Galerie zu wagen, aber hier gibt es Leute, die ihn unterstützen. Außerdem ist OZ klar geworden, dass er Geld braucht und dass er selbst Geld beschaffen kann, ohne dass andere für ihn Spenden sammeln. Indem seine Bilder verkauft und versteigert werden und das Geld den Anwälten zugutekommt. Alle haben ihm zugeredet, diese Ausstellung zu machen. Gäbe es nur ihn und mich, dann gäbe es diese Bilder nicht.
Wie hat sich der künstlerische Prozess gestaltet?
OZ allein hätte die Leinwände weiß gelassen. Nur dadurch, dass ich ihn so lange kenne, hat er akzeptiert, hier zu malen. Allerdings ist das für ihn und mich auch sehr anstrengend. Es war eine Art Symbiose, aus der das hier entstanden ist. Ich habe ihm nicht gesagt, was er malen soll, aber ich habe ihm Leinwände und Farben hingestellt. Es gibt auch nicht mehr Bilder als die hier ausgestellten. Er hat keines mehr gemalt, keines ist misslungen, keines hat er nachträglich verändert. Sie waren irgendwann fertig, oftmals hat er anschließend noch viele Punkte reingemalt. Es ist eine Gabe, die er da hat. Aber auch ein langer, schwieriger Prozess. Ich habe von der vorherigen Ausstellung bis zu dieser gefühlte 20 Jahre gelebt. Nicht nur, weil die Zeit vor der aktuellen Ausstellung anstrengend war – das ist sie immer –, aber diesmal habe ich eine so intensive Zeit erlebt und Einblicke in Bereiche bekommen, für die andere Jura und Psychologie studieren. Ich hänge ja nicht einfach Bilder auf. Da fand nicht nur ein juristischer Prozess statt, sondern viele weitere »Prozesse«, die darin bestehen, sich andere Positionen und Gesichtsweisen anzusehen. Das gilt auch für die Anwälte.
OZ ist zum ersten Mal zumindest indirekt von der Justiz öffentlich als Künstler anerkannt worden. Ist das nicht fast noch wichtiger als das Ausbleiben der Haftstrafe?
Es hätte ja gar nicht besser laufen können: Am Tag des Urteils haben wir die Ausstellung des angeklagten Künstlers eröffnet! Schade ist, dass OZ nicht schon im Vorfeld anerkannt worden ist. Dass es überhaupt zum Prozess kam. Dass er überhaupt angeklagt wurde! Jeder Laie, der hier hereinkommt, sieht, dass OZ ein Künstler ist. Und da geht es nicht um Geschmacksfragen. OZ sagt uns etwas Gesellschaftliches. Bakunin meinte, Kunst sei so interessant, weil man in ihr ein Stück Wahrheit oder Realität sehen könne. Ich spreche gerne mit Galeriebesuchern darüber, was sie als Wahrheit oder Realität mitnehmen. Hier neben mir hängt das Bild »Irrgarten«. Da sind zwei gelbe Smileys zu sehen, drei blaue, ein grüner, ganz viele weiße Punkte, eine Art Schlange, die gespiegelt ist, in der Mitte mit Strichen und Punkten drauf. Ich interpretiere es so, dass es unglaublich schwierig ist, diese Punkte, Chakren oder Helixstrukturen in mir selbst zum Lachen zu bringen – und ich habe keine zwei Menschen getroffen, die das Bild auf dieselbe Weise verstehen. Darum geht es doch. Dennoch wird es interessant sein, wie dieses Spiel mit der Justiz weitergehen wird. Es ist noch lange nicht zu Ende, wir haben erst einen Schachzug gemacht.
Sollte OZ eines Tages ganz im Kunstbetrieb angekommen: Würde sein Wirken an rebellischer Wucht und damit an künstlerischer Ausdruckskraft verlieren?
Bei OZ wird man sich immer an den Sprayer erinnern, der jahrelang im Gefängnis saß. Seinen künstlerischen Wert hat er ja nur dadurch bekommen, dass er so widerspenstig ist und gegen alle Regeln der Vernunft weitergearbeitet hat. Eine neue Karriere in der Mitte der Gesellschaft wäre etwas ganz anderes. Seine Vergangenheit würde verblassen. Ich finde, es ist ein ganz großer Erfolg, dass OZ’ Bilder zum Beispiel gerade im Internet bei dem konservativen Aktionshaus Lauritz versteigert werden. Die Besitzer dort haben intensiv diskutiert, ob man »so etwas« überhaupt versteigern und unterstützen dürfe. Am Tag des Richterspruchs haben sie auch ein Urteil für sich gefunden und gesagt: »Wir machen das.« Es setzen sich also jetzt Leute, die OZ’ Schaffen bisher lapidar als Schmiererei abgetan haben, mit ihm auseinander und können sein Werk anerkennen. Und dennoch hat OZ für mich an Rebellion und Strahlkraft überhaupt nichts verloren. Auch nicht, weil er diesmal lediglich eine Geldstrafe bekommen hat und nicht ins Gefängnis muss. Es geht doch nicht darum, den Messias zu spielen, der selbstmordmäßig ins offene Messer läuft. Für mich ist schön, dass so viele Menschen durch OZ zusammengefunden haben. Und es ist immer wieder eine große Bereicherung, OZ ausstellen zu dürfen. Ich habe aber schon von Leuten gehört, es sei inzwischen unter OZ’ Würde, in der OZM Gallery auszustellen – er könne doch schon »starmäßig« seine Sachen ganz woanders zeigen.
Könnte er denn?
Ich finde es absurd, zu Spenden aufzurufen, wenn OZ bewiesen hat, dass sich seine Kunst verkauft. Er hat die Möglichkeit dazu, und das ist etwas Unglaubliches in unserer Zeit! Viele andere haben nicht annähernd dieselben Möglichkeiten wie er. OZ könnte so viel damit machen, könnte davon profitieren. Interessant für mich ist, was der Kunstmarkt zu seinen Bildern sagen wird. Das wird man bei der Versteigerung sehen. Es ist durchaus möglich, absurde Preise zu bekommen. Dann wird es in Zukunft nicht einfacher für ihn sein, sondern eher schwerer. Viele Leute werden nicht nur aus Gefallen, sondern aus Geldgier oder Profilierungssucht ein Bild haben wollen. Dann wird man sehen, dass OZ in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, und da ist es nicht unbedingt schön.
Dann kommen die Sammler und Denkmalschützer.
OZ macht sich schon einen Spaß daraus. Er sagt zu Leuten, die sich seine Sachen von der Straße klauen, das kann der sich jetzt mal abholen ... Es gibt eben genug Menschen, die sich den kleinen Strohhalm nehmen, den sie finden können. Viele sind mit OZ’ Arbeiten aufgewachsen. Seine Kunst ist ungemein stark. Wenn OZ wie Rumpelstilzchen aus Stroh Gold machen kann, dann werden unheimlich viele Menschen Rumpelstilzchen in einen Raum sperren und ihm sagen, dass er Gold spinnen solle für die Leute. Er hat die Fähigkeiten dazu jedenfalls. Aus einer 100-Euro-Leinwand mit Sprühfarben macht er einen vielfachen Wert, eine unglaubliche Wirkung – auch in diesem rein kapitalistischen Sinn. Und Walter ist schnell, weil er einen Stil hat. Er kann also schnell viele Bilder malen.
Das wendet sich mit wachsender Popularität gegen ihn?
Wenn du als Künstler, der vorher illegal gearbeitet und gezeigt hat, dass er das aushält, dann auf legale Flächen malen sollst, stellst du meistens schnell fest, dass deine Kunst nichts mehr mit Rebellion zu tun hat und nichts anderes ist als Dekoration. OZ wird wahrscheinlich nicht mehr das sein, was er einmal war, aber er würde nichts an Rebellionskraft einbüßen. Allerdings wäre es ja auch eine Kunst, damit aufzuhören. Stell dir doch mal vor, was Walter für eine Kraft braucht! Aber sag’ ihm mal, er solle aufhören. Das ist wie bei einem Raucher! Und letztlich muss das jeder selbst entscheiden. Für mich ist es manchmal tragisch zu sehen, dass seine Bekanntheit auch was Schlechtes hat. Wenn ich sehe, dass das die Leute von der Hochbahn noch mehr reizt, mit OZ nicht gerade zimperlich umzugehen, macht mir das Angst. Obgleich die gesehen haben, dass es nichts bringt. Er ist nicht für irre erklärt worden, im Gegenteil: Jetzt ist die Justiz auf seiner Seite und fragt »Willst du auf einer legalen Wand malen?«. Da kommen die von der Hochbahn und sagen dagegen: »Wir werden es schon schaffen, ihn zu bremsen.« Mir kommen die Leute aufgestachelt vor, als ginge es um einen Schwerverbrecher. Und so ein junger Wachmann fühlt sich da vielleicht herausgefordert. Für die ist er Täter – und ein leichtes Opfer. Und wegen seiner Bekanntheit können sie dann am Feierabend prahlend sagen, sie haben OZ festgenommen. Ich kenne viele Sprayer, die Walter geraten haben, er solle aufhören. Er habe doch erreicht, was er wolle. Aber diese Graffitimaßstäbe sind nicht seine. Walter sieht das anders. Dabei muss er ja nicht einmal weitermalen, um ein Rebell zu sein – er bleibt es.
Polizisten haben ihn als Missgeburt beschimpft.
Ich war nie bei einer Verhaftung dabei, aber auf ein Wort folgt wohl das andere, das schaukelt sich dann hoch. Dass sie mit ihm nicht zimperlich umgehen, ist klar. Ich habe Walter immer als besonnen erlebt, die müssen ihn schon wirklich in Rage bringen, ich möchte nicht wissen, was sie zu ihm sagen. Mein Rat ist: Wenn ich eine Straße langgehe und weiß, dass es Stress gibt, wenn ich weitergehe, dann wechsle ich die Straßenseite. Aber Don Quijote zieht weiter gegen Windmühlen ... Mit 62 Jahren ist er nicht mehr der Jüngste. Etwas mehr Obacht zu zeigen wäre schön, was bei seiner Bekanntheit ja nicht sonderlich schwer wäre: »Opa mit Fahrrad, der ab und zu mal stehen bleibt« – das genügt doch, um ihn zu erkennen. Und wenn die Hunde erst mal losgelassen sind, freuen sie sich natürlich, wenn sie den Hirsch erlegen können.
Gibt es bei ihm nicht die Gefahr der inneren Notwendigkeit im Sinne von Sucht, Opfer-Täter-Psychologie und Selbstverletzung? Könnten er und seine Kunst ohne Verfolgung und Beschimpfung überleben?
Schwer zu sagen. Alle Achtung vor jemandem, der so einen Weg geht, so lange, so hart. Das hängt wohl davon ab, was jemand von der Gesellschaft hält. Die meisten leben damit, dass es Fukushima gibt und die Finanzkrise und dass wir unseren Lebenspartner nur noch abends im Dunkeln sehen, weil er den ganzen Tag arbeitet. Wir haben uns damit abgefunden. Walter hingegen malt zum Beispiel ein Zeichen, das er »Zyklon B« nennt. »Zyklon« wegen der Form, »B« wegen des Gases. Das ist für ihn ein Mahnmal. Für Menschen, die wegen ihres Nichtmitspielens vernichtet worden sind. Ich finde so ein Gedenken fair, andere können das geschmacklos finden. Vielleicht ist es unmöglich für jemanden wie OZ, sich zurückzuziehen und es sich wohlgehen zu lassen. Ich glaube nicht, dass sein Heil darin liegt, als gefeierter, berühmter Künstler sein Leben zu entdecken. Da wird er die ganzen Abgründe bis in die Tiefen sehen, die sind ihm ja schon teilweise bewusst. Wie käme er also aus der Sache raus, ohne Schaden zu nehmen?
Wir zumindest wären ärmer ohne ihn. OZ’ Zeichen- und Bildergebung schafft ständig neue Bilder und neue Möglichkeiten in uns, auch wenn es nur ein Hauch ist.
Wir haben heutzutage so viele Möglichkeiten, aber wir nutzen sie dummerweise nur zum Konsumieren. Das zeigt eine erschreckende Beliebigkeit. Ich habe mir mit der Galerie einen Ort ausgesucht, um etwas auszuprobieren. Im Schanzenviertel, in einem ganz besonderen Umfeld, das gerade umstrukturiert wird. Das hier war ein Biotop, bei dem man deutlich sehen kann, dass es seit einigen Jahren gekippt ist. Doch dieses Gebäude, in dem sich die Galerie befindet, ist noch ein Stück alternative Schanze geblieben. Früher hätte ich diesen Ort als konservativ eingestuft, weil beispielsweise alles weiß war und ich dachte, man könne niemandem über 30 trauen. Als mittlerweile fast 40-Jähriger bin ich jetzt jemand aus den 90er Jahren, der es so sieht, dass die Schanze – beziehungsweise das, was wir hier anbieten – sich im Yin und Yang abspielt. Wir sind ein Kontrastprogramm. Es werden hier unterschiedlichste Künstler gezeigt, die ganz unterschiedliche Gesichtspunkte bringen. Und dann kommen junge Leute hier rein, die machen es einem gar nicht leicht. Die sind so abgegessen, es interessiert sie überhaupt nicht; nur sind die anderen Locations in der Schanze noch uninteressanter. Und hier haben sie die Herausforderung, dass es keinen Alkohol gibt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal kostenlose Jugendarbeit machen würde. Die Kids konsumieren hier nichts, sie sehen noch nicht mal die Bilder! Nichts interessiert sie, es ist alles egal, sie sind nicht mal solidarisch, wenn ich einen ihrer Kameraden mit seiner Whiskeyflasche rausschicke. Sie übernehmen die vorgegebene Infrastruktur kritiklos, sie haben nicht mal eine eigene Musik – verachten aber andere, die nicht zu ihrer Gruppe gehören. Es ist eine solche Gleichgültigkeit entstanden.
Könnte der »Rebell OZ« ein Held für die Jugend sein?
Ich glaube, wir brauchen keine Helden. Und auch Vorbilder brauchen wir nicht. Es wäre schön, wenn die Jugend selbst für sich Sachen herausfinden würde. »Fuck the norm«, sagt OZ. Daran kann man sich erinnern. Wenn ich von jemandem, der als Held verklärt wird, ein Buch lese, dann sprechen mich ja auch nur ein paar Sätze an. Es gibt sicher Menschen, die Helden haben wollen und OZ als solchen verehren. Vielleicht sogar ganz schräge Vögel, die aus ihm eine Religion machen, sich Ozianer nennen und ihn als Gott verehren, sodass er am Firmament funkelt wie ein Star. Oder dass er als Sonderling, als Underdog auf den Empfängen der Reichen herumsteht und mit ihnen Sekt schlürft. Das ist möglich. Aber ich möchte nicht derjenige sein, der damit zu tun hat, das interessiert mich nicht. Mein Leben ist mir zu kurz, ich möchte allen auf Augenhöhe begegnen, auch Menschen die Hand reichen, die auf dem Boden liegen, damit sie aufstehen können. Wenn jemand ganz woanders ist, ist er eben ganz woanders. Womöglich ist er dann ein Star, aber das hat nichts mit meiner Realität zu tun. Und Walter selbst? Ich glaube, ihm wäre es am liebsten gewesen, er wäre niemals so bekannt geworden und hätte einfach seine Bilder anonym malen können.
Akt III: »UNTITLED« (4. April 2013)
Die Hoffnungen auf hohe Einnahmen durch die »wOZu«-Ausstellung im Vorjahr haben sich nicht erfüllt. Nur wenige Bilder haben die OZM Gallery verlassen. Der Kunstmarkt hält sich zurück, weiterhin, die »Kunstkenner« und -kritiker ebenso. Doch weniger das Ausbleiben der Resonanz hat Alex Heimkind enttäuscht – sondern OZ selbst. Wie enttäuschte Liebe fühlt es sich an, wenn er über OZ sagt, er sei ein »garstiger alter Mann«. Er habe mit ihm abgeschlossen. Doch dann kommt es anders: Plötzlich steht eine neue Ausstellungseröffnung vor der Tür. Kurz nach der Vernissage frage ich Alex, was denn im vergangenen Jahr geschehen sei.
Seit der letzten Ausstellung hatte ich ein Jahr lang keinen Kontakt mehr zu OZ. Walter hatte ein Benehmen gezeigt, das mir nicht gefiel und mit dem ich nichts zu tun haben wollte. Wenn jemand denkt, er sei ein Star, lasse ich mich darauf nicht ein. Ich bewege mich nur auf Augenhöhe. Bei OZ habe ich plötzlich so eine Tendenz gesehen. Das geht überhaupt nicht. Es sind bei gewissen Leuten plötzlich Interessen an ihm aufgetaucht. Doch dabei ist nicht so etwas entstanden wie hier. OZ hat sich nicht weiterentwickelt innerhalb des vergangenen Jahres. Ich habe gesehen, dass er völlig auf der Strecke blieb. Die unglaubliche Entwicklung hier dagegen, in dieser Ausstellung, ist nicht zu übersehen. Viele mögen zufrieden sein, wenn OZ weiter seine Smileys malt, das was er schon immer gemacht hat. Das ist aber nur Wiederholung, auch wenn sie vielen Menschen genügt. Ich finde es wichtig, dass ein Künstler aus sich schöpft und Neues schafft – nur kann ich nicht mit jemandem arbeiten, der Ansprüche stellt. Ich brauche Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Stars sind am Himmel, und da sollen sie auch bleiben.
Was hat dich dazu letztlich bewogen, doch noch eine Ausstellung mit OZ zu wagen?
Ganz eindeutig euer Buch, das gerade entsteht. Auch ein Prozess, den OZ losgetreten hat, wie viele andere. Es genügt, ins Gästebuch zu gucken. Es sind viele Prozesse durch OZ in Gang kommen, und sei es, dass man sich selbst erkennt über ihn. Theo Bruns, der Verleger, kam um Weihnachten 2012 herum in die Galerie und erzählte mir von dem Projekt. Nachdem ich mich ein Jahr zurückgezogen hatte, dachte ich wieder darüber nach, etwas mit OZ zu machen. Die letzte Ausstellung lief ja super. Walter hatte kein Gefängnis, nur eine Geldstrafe bekommen, und die konnte man bezahlen.
Von OZ hört man aber immer wieder, er wolle das alles gar nicht.
OZ war überhaupt nicht darüber erfreut. Er hat sich nicht geändert, hat sein Werk so weitergeführt wie bisher. Er ist auch einmal dank sehr vieler Schutzengel am Leben geblieben: Starkstrom. Letztendlich ist Don Quijote wieder unterwegs, gegen Windmühlen zu kämpfen. Ich selbst hatte das niedergelegt und war an dem Punkt angelangt, OZ solle machen, was er möchte. Doch dann habe ich gemerkt, dass der Prozess für mich noch nicht zu Ende war. Es war nicht der richtige Zeitpunkt aufzuhören, ich war noch mitten drin: Den OZ hier wollte ich zeigen, dieses Potential hier! Ein Ausrufezeichen setzen. Ganz wichtig für mich ist, dass offensichtlich wird, dass der Künstler sich entwickelt hat. Nach den vergangenen drei Ausstellungen kann er überall hingehen. Er hat das Potential, Millionär zu werden oder ein verrückter Künstler zu sein. Und vor allem ist er jetzt anerkannt als Künstler. Wenn er selbst kein Künstler sein will, dann muss er das selbst wissen. Doch ist es jetzt eine Tatsache, dass er mit den Größten der Graffiti-Szene zusammengearbeitet hat.
Während OZ oft vermuten lässt, er würde zu solcher Arbeit gezwungen, betonst du die freie Wahl von OZ, sich zu verhalten, wie er es möchte.
Es ist eigentlich die vierte Ausstellung, die vorige hieß schon »wOZu«, die jetzige haben wir namenlos gelassen, sie heißt »Untitled«. Wir haben alles offen gelassen bis zum vierten Tag vor der Eröffnung, erst dann haben wir auch die Ausstellung angekündigt. Es gab keinerlei Zwang. Eine Situation der absoluten Freiheit. Walter hatte jeden Tag die Freiheit zu sagen, er möchte die Ausstellung nicht machen, er möchte diese Bilder nicht malen. Dennoch hat er es geschafft, eine komplette Ausstellung zu machen – und meiner Meinung nach das Beste, was er je in einer Räumlichkeit gemacht hat. Und das innerhalb von drei Wochen.
Ich bin neugierig, wie sich das abgespielt hat. Alex führt mich durch die Ausstellung, begeistert von den Werken, doch kommt er immer wieder auch auf OZ’ Vorwürfe zu sprechen. Er fing an »Das unbekannte Objekt« zu produzieren, wie er das gerne nennt. Das zweite Bild war dann gleich ein Riesenformat, »Der Mond schien hell«. Es erzählt von der Angst, nachts beim Sprayen erwischt und der Freiheit beraubt zu werden. Während dieser Arbeit sagte er mir, das hätte ich ja super eingefädelt, ich würde ihn ja zwingen. Da habe ich gesagt. »Nein, das ist keine Basis für eine Zusammenarbeit.« Es sei für ihn eine Möglichkeit, das zu tun, kein Zwang von meiner Seite jedenfalls. Und so würde ich auch mit ihm nicht zusammenarbeiten wollen. Es sei seine absolut freie Entscheidung. Wer ihn zwinge, ob es die Justiz ist, die seine illegale Kunstform nicht akzeptiert und er dementsprechend einen Rechtsanwalt braucht, oder jemand anders. Das könne ich nicht ändern. Aber eines sei es jedenfalls nicht: Zwang von meiner Seite. Alex spricht erregt. Betroffen ist er stehen geblieben, Freiheit ist für ihn ein absoluter Wert, jeden Zweifel daran möchte er ausräumen. Für mich ist es ganz klar, dass ich ihn nicht gezwungen, sondern ihm eine Möglichkeit zur kreativen Entfaltung für die hier im Raum befindlichen Objekte geboten habe. Wir haben uns noch einmal mit seinen beiden Anwälten und ein paar Leuten von Ultrà St. Pauli getroffen, um ganz klarzustellen, dass ich keinerlei Interesse habe an jemandem, der einfach nur darüber meckert, dass er hier arbeiten muss. Das hier ist kein Zwangsarbeitslager, sondern eine Galerie und ein Art Space, und hier schöpft man aus sich selbst in einer freien Situation. Er könne sofort gehen, es läge an ihm, das zu machen oder nicht. Das hat er dann wohl eingesehen und beschlossen, das für seine Anwälte zu machen, denn die ermöglichen ihm ja, nicht im Gefängnis oder gar in der Psychiatrie, sondern in Freiheit zu sein. Ohne sie wäre er nicht an diesem Ort, um diese Werke zu schaffen. Das hat OZ erkannt, denn an demselben Abend malte er ein Bild mit dem Titel »Blumenstrauß für die Ewigkeit«, und es begann für ihn ein richtig kreativer Prozess. Alex ist wieder in seinem Element und führt weiter durch die Ausstellung. Das erste Mal hat er nicht nur mit der Sprühdose gemalt, sondern auch mit Lackstiften. So konnte er ins Detail gehen und seinen Stil unglaublich verfeinern. Er malte Bilder wie »Grüner Gott und Sonne«. Dann sagte er, seine Fantasie sei ja auch begrenzt; da erwiderte ich ihm: »Ich hoffe, deine Fantasie ist grenzenlos.« Seine Antwort war das Bild »Bunte Fantasie«. Fasziniert bleibt der Galerist stehen, die Intensität, in der diese Bilder entstanden, ist gegenwärtig. In diesem Moment gibt es keinen Zweifel mehr. Es folgten »Der Blick ins All« und »Außerirdisches Modell«. Doch die nächste Beschwerde ließ nicht lange auf sich warten. Es sei doch ganz schön viel Arbeit, eine Ausstellung zu machen. Da habe ich ihm die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern angeboten. Darauf hat er sich eingelassen, und so sind sechs Werke in Zusammenarbeit mit fünf unterschiedlichen Künstlern entstanden, mit Darko Caramello, Daim, Loomit, MIR, mittenimwald und Lady Wave.
Geschah das nur, um Kräfte zu sparen? Hatte er nicht Lust, mit anderen etwas zu machen?
Zuerst war OZ sehr skeptisch, und jemand aus seinem Umfeld wollte das unbedingt verhindern. Es gab eine Arbeit mit Darko Caramello, eine ganz buchstäbliche und wichtige Zusammenarbeit, eine Art Stadtsilhouette. Da konnte man von oben draufschauen wie auf ein Stadtmodell. Darko hat das Objekt gebaut und dann bemalt, OZ hat es übermalt, darauf wieder Darko. Jeder verfolgte sein System, und so hätte es immer weitergehen können, ein fortschreitender Prozess. Sie wurden nicht wirklich fertig und mussten dann einfach aufhören wegen des Ausstellungsbeginns.
Ein unendliches Werk also wie auf der Straße, wo das Übermalen steter Teil des Werks ist. Das ist ein anderer Kunst»werk«begriff. Wenn OZ das anzweifelt: Hat das mit dem Vorurteil zu tun, Streetart dürfe nur auf der Straße stattfinden?
Die Leute, die das behaupten, malen nicht 30 Jahre lang, sondern haben gerade erst angefangen. Alle, die hier ausstellen, sind international bekannte Künstler, haben jedoch auf der Straße angefangen. In so einem Rahmen wie diesem Art Space zu arbeiten, erfordert höchste Konzentration. Hier hast du einen Raum zum Schaffen, und der hat eine unglaubliche Kraft. Das waren drei intensive Wochen im Leben von OZ, in denen er Sachen gemalt hat wie »Blumenstrauß für die Ewigkeit«.
Findet OZ im geschützten Raum der Galerie erst richtig zu seinem Ausdruck? Seine Entfaltung und Entwicklung ist für mich hier eher sichtbar als auf der Straße.
Die Sachen sind ja auch sehr unterschiedlich. Und der Ort, an dem ein Werk entsteht, macht es weder gut noch schlecht. Die Vielfalt wird sichtbar. Alle Werke, die OZ für die Ausstellung gemalt hat, sind ausgestellt. Kein Werk wurde versteckt, und doch fällt keines ab im Vergleich zu den anderen. Daran sieht man, dass er einen Stil hat und eine durchgehend hohe Qualität.
Nach diesem Gespräch habe ich eine zweite Gelegenheit, mit Alex durch die Ausstellung zu gehen. Er führt zwei Mädchen mit Hingabe durch die Bilderwelt von OZ. Wie gebannt höre ich ihm zu, und mir wird klar, dass Alex Teil dieser Bilder ist. Nicht nur, weil er ihnen Raum gegeben und ihren Schöpfer mitgetragen – und manchmal ertragen – hat, sondern weil er sie sehen kann. Und weil sie ihn etwas gelehrt haben, das ihn zum Strahlen bringt.
Jorinde Reznikoff
Druckfahne »›Prozess‹ in drei Akten mit und um OZ herum« (pdf)
Hinweis: Dies ist die Online-Version des Buchs »Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz», das 2014 im Verlag Assoziaton A erschienen ist. Es ist inzwischen vergriffen, als Würdigung seines Werks und als Inspiration für die zukünftige Auseinandersetzung mit Walters Schaffen ist es hier dokumentiert.