OZ stellt unser gesamtes System in Frage

Interview mit Christoph Tornow


»Dr. Graffiti« nannte die taz den Hamburger Galeristen und Augenarzt Christoph Tornow in einem Porträt. Aus seiner Zeit als aktiver Writer kennt er OZ bereits seit den frühen 1990er Jahren persönlich und ist ihm immer wieder begegnet. Nach seinem Studium in Berlin gründete er 2006 die Vicious Gallery in Hamburg, in der OZ seine erste Ausstellung hatte. Die Galerie hat auch das Buch Es lebe der Sprühling, das OZ’ Werk dokumentiert, herausgegeben. Mit Christoph Tornow sprach KP Flügel


Du kennst OZ bereits seit langer Zeit und hast auch die erste Ausstellung mit ihm organisiert.


Ich habe die Vicious Gallery fünfeinhalb Jahre betrieben. Unser Themenschwerpunkt war Graffiti und Streetart. Wir haben eine große Einzelausstellung mit OZ organisiert. Es war seine erste Ausstellung überhaupt. Das Buch wurde quasi zur Ausstellung in den Handel gebracht. Ich kenne OZ persönlich seit rund 20 Jahren. Kurz nachdem ich auf seine Zeichen aufmerksam geworden bin, hatte ich schon das Vergnügen, ihn kennenzulernen. Seitdem kreuzen sich unsere Wege. Obwohl ich behaupten würde, dass wir von Grund auf verschieden sind. Wir entstammen einer anderen Generation und haben einen anderen Sozialisierungs-Background. Doch schon durch das Graffiti-Sprühen, das ich selber aktiv betrieben habe, und mein Bemühen, einem Teil der Szene ein Sprachrohr und eine Einnahmequelle zu bieten, kam es immer wieder zu Zusammentreffen.

OZ positioniert sich ja eher außerhalb des Kunstbetriebs. Es gibt auf der anderen Seite Bestrebungen, ihn in den Kunstbetrieb einzuführen. Er selber sagt, dass er da nicht hinwill.


Er will da definitiv nicht hin. Er hat jetzt nur begriffen, dass seine Probleme, egal welcher Art, ab einem gewissen Grad nur mit Geld zu lösen sind, da unsere ganze Gesellschaft darauf aufbaut. Niemand hat bei der Intensität, mit der man sich seinen Problemen widmen müsste, die Möglichkeit, das völlig unentgeltlich zu tun. Das hat OZ auch begriffen, und er merkt auch, dass zum Beispiel die Qualität des Rechtsbeistands steigt, wenn er ihn bezahlen kann. Deshalb macht er aus der Not eine Tugend und nutzt die einzige ihm zur Verfügung stehende Einnahmequelle, mit der er ohne großen Aufwand an Geld kommen kann, um seine Probleme besser lösen zu können.

Es gab ja die Verhandlung vor dem Landgericht. Der Richter hat da, sinngemäß zitiert, gesagt, dass bei bestimmten Bildern nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich um Kunst handelt. Diese Zuschreibung, dass er Kunst macht, ist ihm ja lange seitens des etablierten Kunstbetriebes verwehrt worden bzw. wird ihm immer noch verwehrt. Wir haben in der Solidaritätsarbeit die Erfahrung gemacht, dass Künstler wie Daniel Richter, Jonathan Meese oder andere, die wir angefragt haben, sich nicht geäußert haben, und es gibt aus der Szene auch keine Anzeichen, ihm solidarisch beizuspringen. Kannst du erklären, warum das so ist?

Ja, ich kann das erklären. Der Kunstbetrieb, den ich ein bisschen kennengelernt habe, ist ein heterogenes Gebilde. Dort gibt es viele kleine Lokalpröbste. Vieles in diesem Metier läuft darüber, dass sich Menschen über den Rest der Masse erheben und dadurch zu einer Art Meinungsbildner werden. Da geht es um Macht, Geld und Einfluss. Im Kunstbetrieb geht es um Elitenbildung und um Abgrenzung von den anderen. Ich glaube, dass das einer der Gründe ist, warum sich viele nicht zu OZ äußern wollen. Weil sie es als unter ihrer Würde empfinden und weil es ihnen aus gesellschaftspolitischer Sicht ein zu heißes Eisen ist, mit dem man sich bei den eigenen Finanziers und Fans unbeliebt machen kann. Man muss ganz klar sagen, das habe ich am eigenen Leibe erfahren: Um sich mit OZ zu solidarisieren, braucht man ein dickes Fell – oder man hat nicht viel zu verlieren, so wie er selbst.

Kannst du das konkretisieren?

Ursprünglich war unser Plan, seine erste Ausstellung als großes Event außerhalb unserer kleinen Galerieräume auf St. Pauli aufzuziehen. Bei der Suche nach einer geeigneten Fläche habe ich zum Beispiel einen bekannten Hamburger Immobiliensammler angefragt, der namhafte denkmalgeschützte oder zu schützende Immobilien besitzt bzw. besaß und der immer wieder kontrovers durch die Hamburger Medien geistert. Er war beim Thema OZ alles andere als begeistert, sodass es in unserem E-Mail-Verkehr sogar zu Beschimpfungen seinerseits gekommen ist. Es ist auch im Kunsthandel so: Wenn du Kunden hast, die ein gewisses Standing in der Gesellschaft haben und das Establishment repräsentieren, dann solltest du als Verkäufer – also als Künstler oder Galerist – aufpassen, wie weit du gehst bzw. wie viel Revoluzzer du aus Marketing-Sicht zulässt. Daniel Richter zum Beispiel kommt ja augenscheinlich aus dem Hafenstraßenumfeld, zumindest kokettiert er immer damit und bezeichnet diese Zeit als eine der großen Inspirationsquellen seiner künstlerischen Arbeit. Eigentlich wäre er prädestiniert, sich zu OZ zu äußern, das muss ich ganz klar sagen. Wir haben ihn damals für unser Buch Es lebe der Sprühling auch über Dritte angefragt. Er hat sich aber nicht geäußert.

Das Gleiche ist der Fall bei Udo Lindenberg. Mir ist aufgefallen, dass in der Werbekampagne für das Musical »Hinter dem Horizont« ein OZ-Signet auf der Berliner Mauer zu sehen ist.

Ich kann mir vorstellen, dass sein Bühnenbildner das gemacht hat und Lindenberg gar nicht geschnallt hat, dass da OZ steht. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Richter, Meese und Lindenberg OZ auch richtig Scheiße finden oder dass sie sich schlicht und einfach für OZ nicht interessieren. Vielleicht überhöhen wir Fans einfach unsere Wahrnehmung, indem wir denken, dass dieses Thema für alle so wichtig sein müsste wie für uns.

Findest du, dass die Diskussion zu hoch gehängt wird?

Mir ist aufgefallen, dass viele Dinge zyklisch verlaufen. Aus meiner Sicht wäre eine dauerhafte Diskussion, die weniger Ausschläge hätte, viel sinnvoller als dieses hysterische Gelaber und dieser Aktionismus, der immer wieder aufflammt, obwohl dieses Thema ja schon lange ein Bestandteil unserer Stadt ist, seit 25 Jahren.

Findest du, dass das Genre Streetart bzw. Graffiti an einem Punkt angelangt ist, an dem das Interesse kippen könnte? Gibt es da einen Overkill?

Bei mir ist die Faszination etwas verloren gegangen. Das liegt auch daran, dass ich mich exzessiv mit dem Thema beschäftigt habe und es für mich schon wieder langweilig geworden ist. Auch insgesamt ebbt das Interesse stark ab. Manchmal reibt man sich erstaunt die Augen, wie viele »Künstler« plötzlich Graffiti ausstellen wollen und meinen, sogar davon leben zu können. Das Ding ist momentan relativ tot. Das heißt nicht, dass es nicht zu einer Renaissance kommen kann. Spätestens wenn es einen weiteren Rechtsruck gibt, wenn mehr Überwachungskameras aufgestellt werden, wenn die Persönlichkeitsrechte thematisiert werden, dann wird wieder das Thema Graffiti auf den Tisch kommen. Momentan, wo es ökonomisch schlechter geht, wollen alle die weiße Wand, und wenn wir wieder satt sind, dann werden wir uns auch den Luxus der Rebellion wieder leisten.

Auch die Institutionen der akademischen Kunstdebatte halten sich bisher aus der Diskussion heraus.

Man muss klar sagen: Streetart und OZ, das sind zwei Begriffe, die man nur bedingt auf einen Nenner bringen kann. Dieses Streetart-Gerede handelt von einer domestizierten Art von Kunst. Da ist meistens nicht einmal ein Straftatbestand gegeben, selbst wenn eine Ergreifung durch die Polizei erfolgt, ist keine Strafverfolgung möglich, da nur eine Verschmutzung und keine Substanzbeschädigung stattgefunden hat. Im Gegensatz dazu hält sich OZ konsequent im roten Bereich auf, dort wo es hardcore und gefährlich ist. Man muss klar sagen, er riskiert nicht nur eine Haftstrafe, er riskiert Leib und Leben. Der Typ ist krass. Der ist nicht niederzumachen und nicht zu zerbrechen. Er kämpft in einer ganz anderen Gewichtsklasse. Die Studententypen, die – ohne sie jetzt anmachen zu wollen – noch eine Zukunft vor sich haben mit Frau, Auto, Kindern und am besten einem Job als Künstler, die haben einen anderen Mindset als der alte Typ, der einfach nichts zu verlieren hat. Er hat keine Frau, kein Auto, keine Kinder, keine Wertgegenstände, vielleicht auch gar keine Zukunft. Der Typ ist fuck the world. Er versucht einfach nur so lange durchzumachen, bis er irgendwann alle Viere von sich streckt. Das ist tough. Das ist Kampf. Diese ganze Aggression, dieser ganze Kampf, der in ihm drinsteckt. Deswegen kann man das auch gar nicht vergleichen. Vielleicht liegt es auch daran, warum einige einen Bogen um ihn machen. Er hat schon eine Menge düsterer Gedanken in sich. Er ist auf alle Fälle der Ritter der Dunkelheit und nicht der Ritter des Lichts. Er kann einem auch Angst machen. Das weiß er und das will er auch. Diese Angst ist ja auch das Heilsame für seine Adressaten. Weil er durch sein Handeln einfach unser gesamtes System in Frage stellt. Das ist ja das, was er tut. Er hinterfragt die Sinnhaftigkeit unserer Sozialisation. Das ist etwas, das mal mehr interessiert und mal mehr abschreckt. Streetart und Graffiti sind over. Der ganze Kunstmarkt dafür ist momentan over. Es gibt immer mehr Menschen, die daran aktiv partizipieren wollen. Zu viel Angebot und zu wenig Nachfrage. Die Highendprodukte sind doppelt so teuer wie vor einigen Jahren, also das, was auf der Art Basel, bei Sotheby’s und den etablierten Galerien gehandelt wird. Es ist nicht so, dass sich in der Breite mehr Kunstsammler etablieren, die dann durch ihr Kaufverhalten die Künstler alimentieren könnten.

Wie viel Rebellion verträgt der Kunstbetrieb und warum tut er sich mit OZ so schwer?

Ich war jahrelang in der Branche drin. Wenn man seine Gönner nicht pampert, dann gibt es auch keine Kohle. Das ist wie in jeder anderen marktwirtschaftlichen Situation. Man hat als Künstler ein bisschen Narrenfreiheit wie der Hofnarr. Und als Galerist vielleicht auch. Aber man hat nicht die Freiheit, die OZ hat. Und deswegen möchten sich viele nicht mit ihm zeigen. Sie wollen vielleicht auch mit rebellischen Statements nach oben kommen, aber so ein Weg ist ihnen dann doch nicht geheuer. Und dazu noch die Stimmen, die behaupten, das, was OZ macht, sei gar keine Kunst. Damit wollen sie nichts zu tun haben. Viele Künstler, auch die, die in diese rebellische Schiene gehen, sind eigentlich im Kern domestiziert. Die transportieren bloß ein Image nach außen. Bei denen ist es in Wirklichkeit ein Marketinggag. Bei ihm ist es eben kein Marketinggag. Und er meint es ja auch ernst, dass er keinen Kommerz macht. Wie sehen junge, »anständige« Künstler, die gerne Karriere machen würden, denn bitteschön neben ihm aus? Ziemlich komisch, würde ich sagen. Ich bin der festen Meinung, wenn er das Geld für seine Anwälte nicht bräuchte, würde er bis heute kein Bild verkauft haben. Hundertprozentig nicht. Ich habe es schon früher versucht, ihn eine Leinwand malen zu lassen, und dafür war er nie zugänglich. Nur die Not hat ihn dazu getrieben, mit Teilen seiner Gesinnung zu brechen.
Man sieht auch, dass er sich bei seinen kommerziellen Bildern deswegen extra keine große Mühe gibt. Er malt da keine schönen Bilder.1 Man merkt, dass er sich bei seinen illegalen Arbeiten häufig viel mehr Mühe macht. Weil das für ihn Sinn macht. Und die legalen Sachen, er will eigentlich gar nicht, dass sie existieren. Er will nicht jemanden wie mich als Galerist belohnen, der etwas macht, was ihm eigentlich zuwider ist, der nämlich Handel treibt und damit den Kapitalismus fördert. Das ist die letzte Freiheit, die er hat. Der Hass regiert den Strich.

Fußnote

1 Das Gespräch fand im Dezember 2012 vor der letzten OZ-Ausstellung in der OZM Gallery statt.


Druckfahne »OZ stellt unser gesamtes System in Frage« (pdf)

Hinweis: Dies ist die Online-Version des Buchs »Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz», das 2014 im Verlag Assoziaton A erschienen ist. Es ist inzwischen vergriffen, als Würdigung seines Werks und als Inspiration für die zukünftige Auseinandersetzung mit Walters Schaffen ist es hier dokumentiert.