Das Verfahren gegen OZ

Kunstfreiheit versus Strafrecht


Mein Mandant Walter F., alias OZ, ist ein Graffiti-Künstler. Ein Wahrzeichen Hamburgs, über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Seine Bilder wurden in Deutschland in Galerien ausgestellt, Bildbände widmen sich seinem Werk. Als Künstler bewegt sich OZ seit Jahrzehnten auf verschiedenen Bühnen: im öffentlichen Raum der Stadt, in Kunstateliers und -galerien und auf einer unfreiwilligen Bühne – vor Gericht, als Angeklagter in unzähligen Strafprozessen. Rund acht Jahre hat OZ im Gefängnis verbracht, und auf der Anklagebank saß nie nur er selbst, sondern immer auch eine kriminalisierte Kunstform.

    Seit September 2012 lief nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit vor dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg ein weiterer Prozess gegen OZ. Acht Anklageschriften wurden dort verhandelt, die den Zeitraum vom Sommer 2011 bis Frühjahr 2012 betrafen. Die Anklage: Sachbeschädigungen durch Graffiti (in 18 Fällen) und Scratchen (in drei Fällen) sowie eine Beleidigung. Ursprünglich waren 22 Zeugen geladen, schließlich wurden bis zum Prozessende mehr als 30 Aussagen gehört. Zunächst hatte der Richter lediglich einen einzigen Verhandlungstag angesetzt mit Zeugenbefragungen im Abstand von fünf bis zehn Minuten. Der Prozess dauerte schließlich ein halbes Jahr, was für den Angeklagten mit 50 Verhandlungstagen sehr belastend war.

    Zur Vorgeschichte: Zuletzt hatte das Amtsgericht Barmbek OZ im Juli 2011 wegen Sachbeschädigung in elf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Beide Seiten gingen in Berufung. Die Staatsanwaltschaft, die in der ersten Instanz 18 Monate Haft beantragt hatte, strebte eine höhere Verurteilung an. Im Februar 2012 verurteilte das Landgericht Hamburg ihn dann im Berufungsverfahren wegen Sachbeschädigung in zehn Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen à sechs Euro, insgesamt zu 1.500 Euro. Eine Freiheitsstrafe hielt das Gericht aufgrund der Geringfügigkeit der Tatschuld nicht für erforderlich, zumal die Warnfunktion einer Strafe gering sei, da OZ für seine Taten viel Zuspruch und Anerkennung von Dritten erhalte.

    Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil Revision ein, weil sie nach wie vor eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung anstrebte. Später nahm sie die Revision aufgrund der überzeugenden schriftlichen Urteilsbegründung des Landgerichts zurück. Stattdessen verfasste sie in kurzer Zeit acht neue Anklageschriften, die zu dem Prozess vor dem Amtsgericht St. Georg verbunden wurden. Dem Antrag der Verteidigung, dieses neue Verfahren im Hinblick auf das alte rechtskräftige Urteil einzustellen, stimmte die Staatsanwaltschaft ausdrücklich nicht zu. Zur Begründung führte sie an, der Schaden liege allein bei einem der Tatvorwürfe, wonach OZ die Scheiben eines Lidl-Marktes gescracht haben soll, bei 10.000 Euro. Zudem seien die Taten zwischen der amtsgerichtlichen und der landgerichtlichen Verurteilung des letzten Verfahrens begangen worden, was eine »gewisse Beharrlichkeit« erkennen lasse. Damit wurde deutlich, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg erneut eine hohe Haftstrafe ohne Bewährung anstrebte.

    In dem neuen Verfahren ging es erneut um das angebliche Bemalen von Stromverteilerkästen, Lichtmasten und Laternenmasten mit schwarzen Kringeln sowie mit Kürzeln wie »SR«, »USP« oder »DSF«. Außerdem wurde OZ vorgeworfen, Hauswände sowie eine Imbissbude mit Farbe besprüht zu haben. Zudem soll er ein altes verwittertes Viadukt mit OZ-Zeichen, »USP« und Smileys bemalt haben, des Weiteren eine Streugutbox mit dem Kürzel »SR«. Zusätzlich wurde OZ vorgeworfen, er habe die Schaufensterscheiben eines Friseurgeschäfts mit seinem Wohnungsschlüssel zerkratzt sowie die Scheiben eines Lidl-Marktes eingeritzt. Im letzteren Fall soll der erwähnte Schaden von 10.000 Euro entstanden sein. Angeblich habe OZ diese Tat am helllichten Tag um 15 Uhr nachmittags ausgeführt. Zudem soll er einen Schaukasten im Eingangsbereich eines U-Bahnhofs zerkratzt und Polizeibeamte, die ihn festnahmen, als »Nazis« und »Unterstützer der Thüringer Terrortruppe« beschimpft haben.

    OZ wurde in diesem Prozess wieder einmal nicht ausschließlich als Person angeklagt, sondern auch in seiner künstlerischen Tätigkeit als Graffiti-Künstler. Mit den Anklageschriften wurden zudem erneut OZ-typische und originär auf ihn zurückzuführende Symbole kriminalisiert, die für viele Betrachter längst Kultstatus haben: der OZ-Schriftzug, die Smileys sowie die bekannte Spirale beziehungsweise der ebenso bekannte Kringel – dazu andere Tags, die auch von anderen Sprayern und Sprayercrews verwendet werden und der Wiedererkennbarkeit des künstlerischen Ausdrucks sowohl untereinander als auch in der Öffentlichkeit dienen. OZ ist der Erfinder vieler dieser Zeichen, sind sie doch teilweise mit seinem Erscheinen in Hamburg erstmals erschienen. Dabei ist festzuhalten: Nicht alle diese Zeichen hat er selbst gemalt, es gibt zahlreiche Nachahmer.

    Zumeist tauchten diese Zeichen auf öffentlichen Objekten wie Verteilerkästen, Lichtmasten, Laternen, Brückenpfeilern und Ampelmasten auf, die durch Besprühen und Bemalen in keinster Weise in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Nur in einigen Fällen ging es um Hauswände von Privathäusern. Bei den öffentlichen Gegenständen, insbesondere den Verteilerkästen, fiel auf, dass diese in einigen Fällen bereits vorher andere Tags aufwiesen sowie teilweise mit Plakaten beklebt waren, bevor OZ angeblich an einer Ecke des Verteilerkastens einen Kringel hinzugefügt haben soll. In diesen Fällen stellte sich die Frage, inwieweit das äußere Erscheinungsbild derart vorbeschädigter Kästen überhaupt noch maßgeblich verändert werden konnte, mindestens jedoch war die Erheblichkeit der Veränderung fraglich. Ferner war bei den öffentlichen Objekten zu berücksichtigen, dass die angeblichen Schäden selten – und bei den Verteilerkästen grundsätzlich nicht – beseitigt wurden. Diese Fälle kamen überhaupt nur zur Anzeige, weil die polizeiliche Sonderkommission (Soko) »Graffiti« angeblich Geschädigte wie die Telekom gezielt anschrieb und auf diese Weise einen Strafantrag einholte, der ansonsten nie gestellt worden wäre. Ein eigenständiges »Schadensbegrenzungsinteresse« der Geschädigten war zumeist nicht im Ansatz ersichtlich.

Die Verteidigung setzte sich von Beginn an für einen Freispruch ihres Mandanten ein und schuf eine Gegenöffentlichkeit. In mehreren öffentlichen Erklärungen machte sie deutlich, dass es sich bei OZ nicht um einen »Schmierfink« (BILD), sondern um einen schützenswerten Graffiti-Künstler handelt, der nicht mehr ausschließlich im Untergrund arbeitet. So wurden seine Werke in Hamburg, Berlin und anderen Städten gezeigt. In Hamburg liefen über mehrere Monate Ausstellungen in der Vicious Gallery sowie in der OZM Gallery. In Letzterer fand im März 2013 anlässlich des laufenden Prozesses die jüngste Ausstellung statt. Zudem führte OZ mehrere unentgeltliche Auftragsarbeiten aus. So hat er im August 2012 die Bemalung der gesamten Umzäunung des Beachclubs »Central Park« im Schanzenviertel fertig gestellt, die jetzt mit Hunderten bunten Smileys verziert ist. Für all diese Tätigkeiten nimmt OZ kein Honorar. Er war und ist ein Gegner der Kommerzialisierung von Kunst, nur so bewahrt er sich seine künstlerische Unabhängigkeit. Soweit Bilder in Galerien verkauft wurden, diente deren Erlös ausschließlich der Bezahlung der Gerichts- und Anwaltskosten sowie möglicher Geldstrafen.

    Vor dem Amtsgericht St. Georg bewegte sich die Verteidigung auf mehreren Ebenen. Die Tatvorwürfe – insbesondere das angebliche Scratchen von Fensterscheiben – wurden bestritten. Zudem ergab sich aus der verfassungsrechtlich garantierten Kunstfreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) ein Verfahrenshindernis. Es musste eine Rechtsgüterabwägung stattfinden zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit einerseits und dem Grundrecht der Garantie des Eigentums andererseits. Dass grundsätzlich die Kunstfreiheit hinter dem Eigentumsschutz zurücktreten soll, lässt sich weder aus Artikel 5 Absatz 3 GG noch aus Artikel 14 GG – der Eigentumsgarantie – entnehmen. Nicht immer geht der Schutz vor Beeinträchtigung des Eigentums dem Recht auf Kunstfreiheit vor. Dies gilt auch für Graffitis, die dem Bereich der Kunst im öffentlichen Raum beziehungsweise der öffentlichen Kommunikation zuzuordnen sind. Bei der Abwägung der Rechtsgüter geht es auch um die Autonomie der Kunst im öffentlichen Raum. Kunst dieser Art wird in der Fachdebatte als Zeichengebung in Kommunikation mit der Öffentlichkeit definiert. Zum Kunstbegriff gehört dabei die Wiedererkennbarkeit der Symbole und Tags in der Öffentlichkeit.

    OZ ist mit seinen Zeichen, Bildwerken und Kreationen im öffentlichen Raum seit mehr als 20 Jahren unter seinem Künstlernamen bekannt und verfügt im Rahmen seiner zeichensetzenden Verfahren und künstlerischen Methoden über einen exemplarischen Wiedererkennungswert. Die Art und Weise seiner visuellen Arbeiten im Stadtraum wird seit langem kunstwissenschaftlich und begrifflich in stilistischen Kategorien von »Graffiti« und »Streetart« erfasst. Innerhalb der Postmoderne entsprechen diese Kunstgattungen einer logischen Entwicklung innerhalb und nach der Pop-Art im Kontext des Wunsches nach einer Demokratisierung der Kunst über die Kommunikation und visuelle Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung. Die Künstler dieser Gattung kreieren ein dynamisches Medium und holen die Kunst aus dem beschränkten Umfeld der Galerien und Museen heraus. Durch die frei sich gebärdende Kunst in den Straßen wird die ganze Stadt zur Kunstgalerie, und die Kunst entdeckt in der Stadt ein neues Manövrierfeld. Beide gewinnen. Bei den Werken des mit Joseph Beuys eng befreundeten Künstlers Harald Naegeli – dem »Sprayer von Zürich« – sowie den mittlerweile musealen und wissenschaftlich untersuchten Schöpfungen der postmodernen Kunst (unter anderem von Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, Banksy) handelt es sich stets um Versuche, Kunst als visuellen Ausdruck des Individuums parallel neben die staatlichen und kommerziell-ökonomischen Zeichensysteme – Werbung, Plakate – zu stellen, die sich stets als anonym darstellen: Malen und Sprühen im öffentlichen Raum ist ein Ausdruck künstlerischen Gestaltungswillens mit der Intention, der Welt etwas mitzuteilen. Dies ist bei OZ mit dem Wunsch verbunden, die Welt bunter zu machen und Lebensfreude in den grauen Alltag zu bringen. Malen und Sprühen im öffentlichen Raum ist sicher aber auch eine Protesthaltung gegen Ordnung und Sauberkeit sowie gegen den einzig und allein bestimmenden und sichtbaren Einfluss der Werbeindustrie, dem sich kaum jemand entziehen kann.

    OZ’ Zeichen, Smileys, Spiralen und Kringel unterliegen nach dieser Definition der Kunstfreiheit, sie wären möglicherweise auf Antrag sogar kunsturheberrechtlich zu schützen. OZ’ Symbole sind kommunikative Zeichen einer künstlerischen Tätigkeit. Auch die flächenfüllenden Malereien an verwaisten Orten des Stadtraums – die ansonsten oftmals ungepflegt vor sich hinfaulen und -modern – lassen sich in Bildform und Inhalt der seit den 1950er Jahren bekannten »Malerei des Informellen« zugehörig betrachten. Andere Symbole und Tags dienen der Wiedererkennbarkeit der künstlerischen Tätigkeit in der Öffentlichkeit. Die Verwendung einer eigenen Signatur, eigener Symbole und Tags verweist auf einen künstlerischen und nicht auf einen kriminellen Kontext, weder in Absicht noch Handlungsweise. »Kunst im öffentlichen Raum« unterliegt dem Schutzbereich des Artikel 5 Absatz 3 GG.

    Ein Verfahrenshindernis lag nach Ansicht der Verteidigung weiterhin darin begründet, dass die Vorschrift des § 303 Absatz 2 StGB das Bestimmtheitsgebot verletzt und somit verfassungswidrig ist. Strafbar im Sinne dieser Vorschrift ist eine unbefugte, nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung des Erscheinungsbildes einer fremden Sache, wobei das Gesetz jegliche konkrete Bestimmung der Begriffe »unerheblich« und »vorübergehend« vermissen lässt. Offen lässt das Gesetz zudem, ob es sich bei der »Erheblichkeit« um eine künstlerische, ästhetische oder gar politische Bewertung handelt, ob es um einen Wiederherstellungsaufwand geht oder ob es um den Grad der optischen Auffälligkeit geht. Jedenfalls können Gegenstände, die bereits erheblichen Vorbeeinträchtigungen unterlegen haben, durch eine einzige zusätzliche Veränderung ihr Erscheinungsbild insgesamt nicht mehr verändern – so wie bei dem bereits oben erwähnten mit Tags übersäten Verteilerkasten.

    Weitere Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 303 Absatz 2 StGB ist eine nicht nur vorübergehende Veränderung des Erscheinungsbildes einer Sache. Die Vorschrift lässt offen, ob es dabei auf den Reinigungsaufwand oder auf den Zeitablauf ankommt. Jedenfalls ist eine Veränderung nur vorübergehend, wenn sie ohne nennenswerten Aufwand an Zeit und Kosten wieder zum Verschwinden gebracht werden kann. Dies dürfte in der heutigen Zeit mit ihrer Vielfalt von effektiven Reinigungsmöglichkeiten in der Regel der Fall sein. Beispielsweise lassen sich im jetzigen Verfahren die vielfach angeklagten mit schwarzer Wachsmalkreide aufgetragenen Kringel auf Laternenmasten und Verteilerkästen bereits mit Ceranfeldreiniger oder einem handelsüblichen Schmutz-Radierer binnen Minutenfrist rückstandsfrei abwischen.

    Abschließend warf die Verteidigung die Frage auf, welchen Sinn und Zweck die Anwendung des Strafrechts im Verfahren gegen OZ eigentlich haben soll. OZ wurde mehrfach verurteilt für diverse Sprühereien, kriminalisiert als Sachbeschädigung. Zuletzt verbüßte er zwischen 2003 und 2006 eine dreijährige Freiheitsstrafe. Kaum in Freiheit, kam er im November 2006 erneut in Untersuchungshaft. Seinerzeit gab die Soko »Graffiti« wahrheitswidrig an, er habe keinen festen Wohnsitz, obwohl er in einer von der Entlassenenhilfe zugewiesenen Wohnung lebte. Ein zwölfköpfiges spezielles Observationsteam behauptete die Begehung diverser Sachbeschädigungen – und schaute dabei zu. Diese Observation stellte sich als rechtswidrig heraus: Zum einen lagen keine erheblichen Straftaten vor, die sie gerechtfertigt hätten. Zum anderen erfolgte die Observation nicht präventiv, sondern repressiv. Man wollte OZ beobachten und vor einer Festnahme so viele Straftaten begehen lassen, damit man ihn wegen angeblicher Fluchtgefahr einsperren konnte. Das Verfahren wurde seinerzeit in fast allen Punkten eingestellt, übrig blieb eine einzige Sachbeschädigung. Das Urteil: eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten, die mit der rechtswidrig verhängten Untersuchungshaft als verbüßt galt. In der Berufungsverhandlung wurde die Freiheitsstrafe dann in eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen umgewandelt.

    Die Anklage gegen OZ warf also die Frage auf, ob hier mit den Mitteln des Strafrechts ein unbequemer Querdenker sanktioniert werden sollte. Angesichts einer städtischen Lebenswelt, die geprägt ist von grauen Asphaltpisten und zubetonierten Stadtlandschaften, warf die Verteidigung die Frage auf, worin die Störung des ästhetischen Empfindens eigentlich bestehe. Besteht das Problem tatsächlich in den als Sachbeschädigung verfolgten künstlerischen Interventionen von OZ in den Stadtraum oder nicht vielmehr in der Existenz einer sterilen Betonästhetik? Die Verteidigung gab des Weiteren zu bedenken, ob die künstlerischen Interventionen von OZ nicht eigentlich als eine Bereicherung begriffen werden sollten und es nicht unangemessen und beschämend sei, dem mit Androhung einer Haftstrafe zu begegnen.

    Die Verteidigung bezweifelte, dass die Sicht der Soko »Graffiti«, veröffentlicht in einem polizeilichen Infoblatt, gesellschaftlich mehrheitsfähig ist. Dort heißt es unter anderem: »Der Begriff Graffiti bezeichnet sowohl Farbschmierereien als auch kunstvolle Wandmalereien. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger empfindet Graffiti, die zunehmend das Erscheinungsbild unserer Städte prägen, jedoch als störend und als Beeinträchtigung ihres Sicherheitsgefühls.«

    Doch wer fühlt sich durch OZ-Zeichen, Smileys, Spiralen oder Tags denn ernsthaft in seinem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt? Nach Auffassung der Verteidigung soll mit Behauptungen dieser Art der Öffentlichkeit vielmehr eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls gerade erst eingeredet werden. Für zahlreiche Menschen ist dies jedenfalls anders. Sehr viele Menschen freuen sich über diese Symbole und Tags oder nehmen sie gleichgültig hin. In Stadteilen wie zum Beispiel dem Hamburger Schanzenviertel würde es viel eher auffallen, wenn es weiße Wände ohne jedes Graffiti gäbe. Viele Anwohner und Besucher des Viertels würden darin eine optische Beeinträchtigung sehen und dies als ungewöhnlich und störend empfinden. Bunte, bemalte und beklebte Wände gehören zum Stadtbild. Im Januar 2011 hatte die Hamburger Morgenpost anlässlich der Vorberichterstattung zu einem vorangegangenen Verfahren eine Umfrage durchgeführt mit der Fragestellung: »Was sagen sie zu den Graffitis von OZ?« Die polarisierenden Antwortmöglichkeiten brachten folgendes Ergebnis: 69 Prozent antworteten mit »Die Graffitis von OZ sind toll, OZ ist ein Künstler«. Nur 31 Prozent entschieden sich für »Das ist Geschmiere, OZ gehört hinter Gitter«. Angesichts dieses gesellschaftlichen Wandels in der Wahrnehmung und Bewertung des Sprayers OZ ist ein Umdenken gefordert – auch von der Hamburger Justiz.

    Viele Menschen, u.a. aus der linken Politszene, der Künstlerszene, der linken FC-St.-Pauli-Szene, des Bündnisses »Recht auf Stadt« usw., hatten sich zusammengefunden, um gegen die Kriminalisierung von OZ tätig zu werden und ihn in dem Prozess zu unterstützen. Sie alle forderten, das Verfahren einzustellen.

    Schließlich erlitt die Anklage im jüngsten Prozess vor dem Amtsgericht St. Georg Schiffbruch. Von insgesamt 19 Anklagepunkten, darunter das angebliche Scratchen der Fenster des Lidl-Marktes, wurde OZ in 17 Vorwürfen freigesprochen – und das auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Als erwiesen sahen Gericht und Staatsanwaltschaft lediglich zwei Tags auf einer Hauswand an, für die OZ nach fast sechs Monaten Verhandlungsdauer zu einer Geldstrafe von 250 Euro verurteilt wurde. Die Verteidigung hatte erfolgreich nachweisen können, dass sich nahezu alle Kringel, die überwiegend mit einem Wachsstift aufgebracht wurden, in noch nicht mal einer Minute mit einem handelsüblichen Schmutzradierer im Wert von 40 Cent rückstandslos entfernen ließen. Im Falle der angeblichen gescratchten Scheiben konnte die Verteidigung beweisen, dass die von einem Polizisten angeblich beobachtete Sachbeschädigung aus objektiven Gründen so nicht von OZ ausgeführt worden sein konnte. Während das Gericht, das die Ansicht der Verteidigung in diesem Punkt voll teilte, von einem »Irrtum« des polizeilichen Zeugen ausging, lag es für Prozessbeobachter auf der Hand, dass der Polizist versucht hatte, OZ mit einer Lüge eine Straftat unterzuschieben. Gerügt wurde immerhin von Richter und Staatsanwalt die schlampige und nachlässige Ermittlungsarbeit der Polizei. Zudem gab es von der Staatsanwaltschaft ein seltenes Lob für die Verteidigung: Durch deren akribische Nachermittlungen seien Widersprüche der Ermittlungen und entlastende Beweise während des Prozesses überhaupt erst aufgedeckt worden.

    Mittel des Strafrechts waren und sind weder geeignet, erforderlich noch verhältnismäßig, um dem Wirken eines Graffiti-Künstlers wie OZ im öffentlichen Raum zu begegnen. Außerdem stellte sich der Verteidigung die Frage, welcher Strafzweck mit dem Verfahren verfolgt werden sollte. OZ selbst lässt sich weder resozialisieren noch psychiatrisieren oder abschrecken. Auch jüngere Graffiti-Künstler hätten sich durch eine harte Verurteilung des 63-Jährigen etwa zu einer Freiheitsstrafe nicht von ihrem Tun abhalten lassen. Dann aber wäre es mit der Verhängung von Freiheitsstrafen nur um Rache und Vergeltung gegangen, um ein pures »Wegsperren«. Dies ist einer freiheitlichen Gesellschaft unwürdig und in der von Literatur und Rechtsprechung vertretenen Strafzumessungslehre ein illegitimer Strafzweck. Dem galt es mit allen Mitteln entgegenzutreten. Menschen wie OZ gehören nicht ins Gefängnis, sondern mitten in die Stadt.

Andreas Beuth, Rechtsanwalt


Druckfahne »Das Verfahren gegen OZ« (pdf)

Hinweis: Dies ist die Online-Version des Buchs »Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz», das 2014 im Verlag Assoziaton A erschienen ist. Es ist inzwischen vergriffen, als Würdigung seines Werks und als Inspiration für die zukünftige Auseinandersetzung mit Walters Schaffen ist es hier dokumentiert.